In der Stollenbäckerei

Christ- oder Weihnachtsstollen sind neben Printen, Spekulatius und Plätzchen das Adventsgebäck schlechthin. Den Stollen-Laib aus schwerem Hefeteig mit Trockenfrüchten, Nüssen, Marzipan- oder Mohnfüllung gibt es schon für wenige Euro im Supermarkt zu kaufen. Wenn man sich jedoch anschaut, wie aufwändig die handwerkliche Fertigung eines solchen Weihnachtsbrotes ist, stellt sich die Frage: geht das überhaupt für so wenig Geld? 

Wo Handarbeit noch zählt

In der Wildkräuter-Manufaktur „Vieux Sinzig“ im Ahrtal bäckt das Team von Jean-Marie Dumaine und seiner Tochter Alexandra Steinbeck in jedem Jahr Anfang/Mitte November gut 100 Stollen. Diese werden mit selbstgesammelten und -getrockneten Wildfrüchten wie schwarzen Walnüssen, Weidebutter aus der Normandie und feinstem Marzipan und Nougat hergestellt. Nicht nur die Zutaten und Weihnachtsgewürze sind liebevoll ausgewählt, sondern jeder dieser Dinkel-Stollen ist in allen Schritten – mit Ausnahme des Knetens in einer großen Maschine – handgemacht. Und diese Besonderheit schmeckt man auch.

Stollen backen

Bereits einen Tag vor dem Backen herrscht in der Wildkräuter-Manufaktur rege Betriebsamkeit. Alle Zutaten werden auf ihre Qualität überprüft. Das Team schneidet die Wildfrüchte und auch selbstgetrocknete Feigen und Pomeranzen (Bitterorangen) aus dem Hausgarten auf kleine Stückchen und legt diese für mehrere Stunden in Kirschwasser und Rum ein. Nach einer alten Dresdner Stollen-Rezeptur setzt Jean-Marie Dumaine zunächst einen Hefevorteig an und bereitet dann aus dem Vorteig zusammen mit Mehl, Zucker, Eiern und Butter den Hauptteig. Ungefähr 100 Kilo schwerer Hefeteig müssen bewegt werden. Dies geschieht in einem Mischkneter. Erst dann kommen sukzessive die Gewürze, darunter Steinklee, Tonkabohne, Zimt und Bourbon-Vanille, und die Früchte dazu. Der Stollenteig, der klassischerweise auf 100 Teile Getreideerzeugnisse und/oder Stärken mindestens 30 Teile Fett und 60 Teile Sultaninen oder Korinthen und Orangeat sowie Zitronat enthält, ruht im Anschluss bis zum nächsten Morgen.

Backtag: Schritt für Schritt zum Stollen-Laib

Am Backtag sind schon alle früh auf den Beinen, die ganze Familie hilft mit. Um 100 Stollen zu backen, muss der Teig zunächst in 100 gleichmäßige Portionen geteilt und abgewogen werden. An der ersten Station rollt Enkel Julien Steinbeck die Stollenportionen zu einem Viereck von circa 1-2 cm Höhe aus. An zwei weiteren Stationen wird das Viereck dann gefüllt und geformt. Eine Füllung aus Marzipan mit schwarzer Walnuss, die zuvor von einem Mitarbeiter vorbereitet und zu einer langen Schlange gerollt wurde, wird bis zur Mitte des Vierecks eingeschlagen. Von der anderen Seite des Vierecks schlägt der Bäcker dann den Teig dagegen. Mit einem Holz wird der Stollen von seiner langen Seitehälfte her noch etwas flachgedrückt, sodass er seine typische Form bekommt.

Der Name „Stollen“ stammt vom althochdeutschen Wort „stolio“ ab, was soviel wie Pfosten oder Stütze bedeutet. In der christlichen Symbolik soll der Christstollen das in Windeln gewickelte Jesuskind darstellen. Und wer genau hinschaut, stellt fest: der nachher fertig gepuderte Stollen hat tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem in eine dicke Decke gewickelten Baby.

Stollenbacken – eine Kunst

Bevor der Stollen jedoch gepudert werden kann, sind noch viele weitere Schritte erforderlich: Das Wichtigste ist der Backvorgang selbst. „Hier entscheidet sich viel – vor allem ob ein Stollen trocken und damit haltbar genug für die Lagerung oder zu trocken und nicht mehr saftig genug ist“, so Jean-Marie Dumaine. Bei einer Kerntemperatur von rund 85 Grad Celsius werden die Stollen circa 50 Minuten gebacken und der Meister betreut den Backofen höchst persönlich, denn die Kruste des Gebäcks einschließlich der außen liegenden Früchte darf nicht zu dunkel und damit bitter werden. Nach dem Auskühlen taucht das Team sie in reine Butter, die in einem langen Kochtopf, flüssig gemacht wird. Auch das Fett macht den Stollen noch einmal haltbarer und saftiger. Nach dem Abtropfen werden die Stollen mit Puderzucker überzogen. Zwei Tage müssen sie nun ablagern, bevor das Team sie verpackt. „Erst in etwa zwei Wochen sind Stollen so gut durchgezogen, dass sie ihr volles Aroma entwickelt haben und sich zudem gut anschneiden lassen“, so Jean-Marie Dumaine, der sich jedes Jahr wie ein Kind auf die Prozedur des Stollenbacken freut und die Butter selbst aus der Normandie mitgebracht hat. In jedem Jahr variieren die Zutaten des Stollens ein wenig und so dürfen sich die Kunden in diesem Jahr auf Edition Nr. 6 mit schwarzer Walnuss-Note freuen.

Früchtebrot – ein weiterer Weihnachtskuchen

Die limitierte Auflage des Stollens mit einem Preis von 15,20 Euro für einen rund 800-Gramm-Laib ist meist schon Ende November ausverkauft, wenn die Manufaktur ihren Tag der offenen Türe hat. Für Kunden, die im Dezember kommen, bieten Jean-Marie Dumaine und seine Tochter Alexandra Steinbeck ein Früchtebrot nach schwäbischem Vorbild an. Auch hierfür werden nur mit viel Sorgfalt ausgesuchte Zutaten und Gewürze verwendet. Im Unterschied zum Christstollen wird das Früchtebrot, wie sein Name schon sagt, im Verhältnis mit mehr Trockenfrüchten und weniger oder hier in der Vieux-Sinzig-Manufaktur ganz ohne Mehl und mit wenig Zucker gebacken. Die Tradition und saftige Rezeptur stammt aus einer Zeit, als man für den Wintervorrat noch viele Streuobstfrüchte wie Pflaumen, Birnen- und Apfelschnitze aus dem eigenen Hausgarten selbst trocknete und den Winter über als Aromengeber und Süßungsmittel für Gebäck und Speisen nutzte. Insbesondere im süddeutschen Raum verfeinerte man gerne in der Adventszeit das Brot mit getrockneten Birnenschnitzen, sogenannten „Hutzeln“ oder „Kletzen“.

Lieber handgemacht

Vom Ursprung des Gebäcks, seiner Symbolik und vom Aufwand her, muss die Antwort lauten: Nur ein handgefertigter Stollen aus hochwertigen Zutaten oder ein selbstgemachtes Früchtebrot sollten es wert sein als Christ- oder Weihnachtsgebäck mit auf dem Gabentisch zu liegen. Handwerklich produzierte Stollen und andere Weihnachtsgebäcke bieten im Übrigen viele Konditoreien und Bäckereien auch über ihre Online-Shops an, sodass man sich gar nicht vom Billig-Stollen im Supermarktregal in Versuchung führen lassen muss. Ein schönes, einfach umzusetzendes Rezept für Hobbybäcker stellt auch ein weihnachtlicher Quark-Mandel-Stollen dar. Das Rezept und Geschichtliches rund um den Christstollen findet sich hier in einem meiner früheren Beiträge.

https://ira-schneider.de/zu-weihnachten-nicht-ohne/

Veröffentlicht von

redis

Ich schreibe und fotografiere zu genussvollen Themen. Von der Foto-Reportage über Rezept-Strecken bis hin zum Kochbuch. Als Food-Journalistin setze ich Kulinarisches in Szene - in Wort und Bild.