Vom Rüssle bis zum Schwänzle – Schlachtfest in Hohenlohe
Im Hohenloher Land rund um Schwäbisch Hall konzentrieren sich die Landwirte seit den 1980er Jahren wieder auf eine alte Schweinerasse, das Schwäbisch-Hällische Landschwein. „Das Mohrenköpfe“, wie das Schwein bei den Einheimischen wegen seiner schwarzen Flecken genannt wird, ist genügsam und liefert ein gutes Fleisch mit aromatischem Rückenspeck.
Einmal im Jahr demonstrieren die Metzger im Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen außerdem, wie früher geschlachtet wurde und verarbeiten das ganze Tier „vom Rüssel bis zum Schwänzle“ warm. Nachhaltigkeit und Achtung vor dem Geschöpf ist ihnen auch heute noch wichtig.
Schwein mit Geschichte und Charakter
Bereits 1844 war über die Schweinezucht-Region in Baden-Württemberg und seine lokale Rasse im Landwirtschaftlichen Correspondenzblatt zu lesen: „nirgends trifft man die eigentümliche und vorzügliche Race von Schweinen an, welche der Hällische Bauer hat.“ Leider änderten sich die Zeiten mit der steigenden Nachfrage nach Magerfleisch in den 1960er Jahren. Anfang der 1980er Jahre galt die Rasse bereits als ausgestorben. 1984 waren nur noch sieben reinrassige Sauen und ein Eber gezählt worden.
Bäuerliche Erzeugergemeinschaft macht sich stark
Es klingt fast wie ein modernes Märchen: Hohenloher Bauern haben sich daraufhin auf Initiative von Landwirt Rudolf Bühler zunächst zu einer Züchtergemeinschaft, später zu einer Erzeugergemeinschaft zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Tiere wieder erfolgreich am Markt zu etablieren. Heute bilden mehr als 350 eingetragene Herdbuchsauen eine tragfähige Basis für das Schwäbisch-Hällische Qualitätsfleischprogramm. Rund 1500 Landwirte und 85 Züchter und Förderer sind das Dach der Organisation, die – um marktfähig zu sein und Verbraucherwünschen entgegenzukommen – neben dem Fleisch der reinrassigen Tiere – auch magereres Fleisch von Kreuzungen mit Pietrain-Ebern und unter anderem Bio-Fleisch anbietet.
Heimat ist Zukunft
Einer der größten Landwirte in der Erzeugergemeinschaft ist Markus Ehrmann aus Herbertshausen. Nach Übernahme des Betriebs seiner Eltern hat sich der promovierte Agrarwirt bewusst für die Stärkung seiner Region durch die Nische entschieden. Auf seinem Betrieb werden gut 1200 Tiere auf Stroh mit Auslauf im Freien gehalten und gemästet. Mit einer Herde von eigenen Muttersauen und einer 100 %-ig gentechnikfreien Eigenfuttererzeugung mit heimischen Eiweißen wie Lupinen und Ackerbohnen auf dem Hof schafft der Landwirt Transparenz vom Stall bis auf den Teller. Neben der Schweinefleischerzeugung hat sich der Junglandwirt auf Zwischenfrucht- und Wildkräutermischungen spezialisiert, womit er einer der wenigen deutschlandweit ist.
Netzwerk, das rundum greift
Der BESH Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall ist es in den letzten 30 Jahren nicht nur gelungen, die alten Schweinerasse – die ehemals aus dem chinesischen Jinhua-Schwein und dem seinerzeitigen Landschwein entstanden war – zu retten, sondern auch „gegen den Zahn der Zeit“ ein Netzwerk rund um die bäuerliche Regionalvermarktung aufzubauen. Auch die alte, ebenfalls vom Aussterben bedrohte Rinderrasse der Region, das Limpurger Rind, die als „Boeuf de Hohenlohe“ vermarktet wird, regionale Kuh-, Schaf- und Ziegen-Käse von der Dorfkäserei Geifertshofen und den Honhardter Demeterhöfen, Bio- und Demetersenf aus eigener Erzeugung sind über den eigenen Internetshop bestellbar oder in den der Erzeugergemeinschaft angeschlossenen Märkten und Läden, unter anderem auch in Stuttgart und Berlin. Außerdem zu haben: Bio-Gewürze in Kooperation mit Kleinbauerninitiativen in Indien und Sansibar sowie Feinkostgerichte und weitere Spezialitäten wie Weine, Essige oder Teigwaren.
Erzeugung, Schlachtung und Vertrieb in einer Hand
„Mithilfe von alten heimischen Landrassen erzeugen wir Fleisch, das Verbraucherinnen und Verbraucher mit gutem Gewissen zubereiten und mit viel Genuss essen können. Unsere Tiere bekommen nur bestes und gesundes Futter zum Fressen, das ohne Gentechnik erzeugt wurde. Verboten sind Wachstumsförderer, Tiermehl und andere bedenkliche Stoffe. Das ist gut für die Tiere, gut für die Umwelt und gut für die Qualität unserer Produkte, denn das schmeckt man“, so BESH-Pressesprecherin und Buchautorin Tanja Kurz, die im Oktober den Titel „Das große Buch vom Schwäbisch-Hällischen Schwein – Mit sauguten Rezepten“ im Ulmer Verlag herausgebracht hat. Nicht nur Erzeugung, sondern auch Schlachtung und Vertrieb sind bei der BESH in einer Hand. Die Tiere werden, wenn sie schlachtreif sind, zum eigenen Schlachthof gebracht, in der angeschlossenen Wurstmanufaktur verarbeitet und über die Erzeugergemeinschaft vermarktet.
Handwerkliche Tradition der Hausschlachtung
„In Anlehnung an die handwerkliche Tradition der Hausschlachtungen, wie sie früher auf den Bauernhöfen praktiziert wurde, verarbeiten wir das geschlachtete Tier bei uns warm und mit viel Respekt ‚vom Rüssle bis zum Schwänzle‘“, so Tanja Kurz, die selbst in Hohenlohe aufgewachsen ist. Auf den Einsatz von Zusatzstoffen zur Bindung als auch auf Geschmacksverstärker kann durch das Warmwursten und Warmbräten verzichtet werden. Nur Naturgewürze in Ecoland-Qualität aus dem eigenen Netzwerk, darunter auch heimische Sorten wie Kümmel, Koriander, Gelbsenf, Thymian und Majoran aus Hohenlohe, kommen in die Wurst.
Schlachtfest in Hohenlohe
In jedem Jahr am zweiten November-Wochenende demonstrieren Metzger im Freilandmuseum Wackershofen, wo auch eine Herde Schweine gehalten und gezüchtet wird, wie die Schlachtung mit anschließender Warmverarbeitung früher „im Kleinen“ während des Schlachtfestes auf den Höfen zuging. Nach Bolzenschuss-Betäubung und Kehlschnitt fangen die Metzger zunächst das Blut für die Wurstbereitung auf, es muss stetig gerührt werden, damit es nicht gerinnt. Das Schwein wird mithilfe von heißem Wasser und einer Schabeglocke enthaart. Die Metzger flämmen letzte Haare mit einem Brenner ab, trennen den Kopf vom Rumpf und bereiten die Hinterläufe zum Aufhängen vor. Mit vereinten Kräften spannen vier Männer das 130 Kilogramm schwere Schwein schließlich auf einen Galgen. Die Innereien können nun entnommen werden.
Wie es früher zuging
Zunächst spalten die Metzger das Schwein mit einem Beil in zwei Hälften, schneiden in professioneller Abfolge alle Stücke sauber aus dem Korpus raus und sortieren sie nach Verwendungszweck. Die Leber muss zur Fleischbeschau. Neben Blut- und Bratwürsten zum Frischverzehr, werden auch Blutwurst und Bratwurst-Brät in Dosen eingemacht. Zum Verschließen der Konserven hat einer der Metzger eine manuelle Verschlussmaschine, die genau wie der Fleischwolf für das Wurstbrät aus der Privatsammlung der Metzgerfamilie stammt, mitgebracht. Bereits vor dem Schlachten haben die Männer im Freien einen Schweinekessel mit Wasser erhitzt, damit die einzelnen Fleischteile für die Wurstverarbeitung gekocht und auch später die Würste gebrüht werden können.
Traditionelle Schlachtsuppe und -platte
Aus dem Kochsud bereitete man früher, als nur in der kalten Jahreszeit geschlachtet werden konnte, mit den Schlachtresten eine Metzelsuppe. Heute serviert die Museumsgastronomie Schlachtplatte oder Kesselfleisch, das heißt: gekochter Bauchspeck, Blut-, Brat- und Leberwürste reicht man zu Sauerkraut und frischem Landbrot. Wer zugeschaut und aufgepasst hat, bemerkt, dass am Ende des fünfstündigen Schlacht- und Verarbeitungsprozesses alle Teile des Tieres „Vom Rüssle bis zum Schwänzle“ verwertet wurden. „So muss es sein und so ist dem Tier und der Natur gegenüber fair“, findet Tanja Kurz – die am liebsten Bäckle vom „Mohrenköpfle“ isst und sie berichtet: „Bis vor drei oder vier Jahrzehnten war es noch erlaubt, Schweine und Rinder von Hausmetzgern auf dem Bauernhof oder dem Hof eines Landgasthofs schlachten zu lassen, um dann bei bäuerlichen Festen wie Niederfallet, wenn das letzte Roggenfeld geschnitten war, zu Erntedank, Kirchweih oder auf der Muswiese, einem bunten herbstlichen Bauern- und Vergnügungsmarkt hier in der Region, öffentlich zu verspeisen.“
Slow Food Arche-Passagier, g.g.A-Siegel und EU-Förderprojekt
Die Vereinigung Slow Food, die mit ihrem Biodiversitätsprojekt „Arche des Geschmacks“ auf die vom Aussterben bedrohte, aber schmackhafte Rassen, Nutzpflanzen und handgemachte Spezialitäten aufmerksam macht, hat das Schwäbisch-Hällische Landschwein, die als älteste Schweinerasse Deutschlands gilt, 2014 in seine Liste aufgenommen. Auf Beschluss der EU-Kommission ist Schwäbisch-Hällisches Qualitätsschweinefleisch bereits seit 1998 als geschützte geografische Angabe (g.g.A.) in das Register der geografischen Bezeichnungen mit besonderer Qualität eingetragen. Gemäß der Philosophie „Erhalten durch Aufessen“ macht nicht nur Slow Food auf die alten Rasse und deren Vorzüge aufmerksam, sondern auch die BESH, angeschlossen an ein EU-Förderprogramm, selbst. Im Zuge dessen ist unter anderem ein „Bäuerlicher Blog“ entstanden, auf dem die Verbraucher im Laufe der Jahreszeiten mitverfolgen können, mit wieviel Mühe und Engagement die Landwirte wie Markus Ehrmann aus Herbertshausen, aber auch Metzger, Köche, Verarbeiter und Verkäufer im Netzwerk tätig sind.
Hausschlachtung wie früher erleben
Das Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen veranstaltet auch in diesem Jahr wieder ein Schlachtfest mit traditioneller Hausschlachtung. Am Samstag, den 09. November 2019, können Interessierte von 10-14 Uhr zuschauen. Darüber hinaus gibt es am 09. November und am 10. November 2019 von 10-17 Uhr deftige Schlachtplatte vom Schwäbisch-Hällischen Schwein.
Gutes aus der Region einkaufen
www.haellisch.eu (hier lässt sich auch nach Postleitzahl nach nahe gelegenen Fachmetzgereien suchen, die das Schwäbisch-Hällische Schwein mit dem g.g.A.-Siegel führen)
Schwäbisch-Hällische Spezialitäten auswärts genießen
Für Gourmets sorgt im Zentrum von Schwäbisch Hall, gleich neben der Michaelskirche, s‘Hällische Delicatessengeschäft & Bistro (Neue Straße 2) mit Mittagstisch (auch zum Mitnehmen) für höchsten Genuss. Außerdem sind im Einkaufsführer auf der Website der BESH Partnermetzgereien und Gastronomiebetriebe gelistet.
https://www.besh.de/index.php/verbraucher/maerkte/kornhausscheunen
Rezepte
https://haellisch.eu/genuss/rezepte/
Literaturtipps
Tanja Kurz, Das große Buch vom Schwäbisch-Hällischen Schwein – Mit sauguten Rezepten, Ulmer Verlag 2019
Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall (Hrsg.), Die Tradition der Hohenloher Hausmetzger, 2016
Ira Schneider, Küchenklassiker-Reihe im Wartberg Verlag (2014 ff.): Acht Bände über die Regionen Bergisches Land, Niederrhein, Ostwestfalen-Lippe, Münsterland, Nordhessen, Sauerland, Eifel und Saarland berichten in jeweils einem Kapitel über regionale Fleischspezialitäten und deren Verarbeitung in früheren Zeiten.